Wie das Wohl der Gesellschaft von einer gesunden christlichen Glaubensüberzeugung abhängt

■ Sowohl aufgrund der Erfahrung mit sich selbst als auch mit den Mitmenschen kann man wohl ohne großes Zögern die Behauptung aufstellen, dass der Mensch praktisch seiner Natur nach eher daran interessiert ist, sich in seinem Leben möglichst immer mehrere Optionen offenzuhalten statt sie sich wodurch auch immer nehmen zu lassen. Denn wir sehen es schon als negativ bzw. als eine unangenehme Einschränkung an, wenn wir uns, vom Leben veranlasst, auf eine der betreffenden Optionen festlegen müssen. Denn wir möchten ja das Leben sozusagen genießen und von der Tendenz her möglichst viele Erfahrungen machen, die uns Freude bereiten bzw. glücklich stimmen. Durch die jeweilige Festlegung auf nur eine der Möglichkeiten treten ja für uns alle anderen dieser ursprünglich möglichen Optionen entweder sehr stark in den Hintergrund oder fallen nicht selten ganz weg.
Zwar kann man diese Sicht der Dinge psychologisch auch irgendwie verstehen und nachvollziehen. Dennoch machen wir in solchen Fällen gern den Fehler, dass wir unser Augenmerk in erster Linie darauf richten, der Wegfall anderer Alternativen stelle für uns hauptsächlich nur Verarmung oder Minderung der Lebensqualität dar. Wir übersehen dabei aber nicht selten, dass uns erst die klaren Festlegungen und definitiven Entscheidungen im Leben die Möglichkeit bieten, sich verstärkt mit einer bestimmten Option auseinanderzusetzen und somit auch in den Genuss ihres positiven Wertes zu kommen!
Ein Mensch, der sich nicht z.B. für einen der für ihn möglichen Berufe oder Lebensaufgaben entscheiden kann oder will, besitzt dann formal zwar immer noch mehrere Alternativen für seine Zukunft, kann aber zur gleichen Zeit nicht in die Lage versetzt werden, echte Freude und auch Glücksgefühle aus einer dieser Betätigungen zu empfinden. Denn erst wenn man sich konsequent auf eine Sache konzentriert und fokussiert, kann man auch den wahren Reichtum dessen erfahren, der darin eigentlich enthalten ist. Wer aber, der daran sozusagen nur an der Oberfläche schnuppert, erfährt zwar gewisse Eindrücke, tiefere Erkenntnisse und bereichernde Erfahrungen bleiben ihm aber verborgen!
Auch ein Blick auf die verschiedenen zwischenmenschlichen Beziehungen bestätigt dies. Warum ist denn z.B. die Zahl der Ehescheidungen und der in Brüche gehenden Beziehungen so hoch in unseren Landen? Wie nie zuvor redet man heute viel über Liebe, Vertrauen, Respekt und ähnliches. Dennoch nimmt die Häufigkeit der entsprechend erfahrenen Enttäuschungen zu. Woran mag das liegen?
Sicherlich gibt es dafür mehrere Gründe. Einer der wichtigsten besteht aber darin, dass man offensichtlich viel zu oft nicht willens ist, sich konsequent und intensiv genug auf einen anderen Menschen und die Familie einzulassen, sein ganzes Leben mit dem potentiellen Ehepartner und den Kindern zu teilen. Man trauert da wohl immer noch zu sehr den anderen Optionen nach, die durch die betreffende definitive Festlegung weggefallen sind - echte Liebe erfährt man so wohl kaum.
Ähnliche traurige Szenarien spielen sich auch auf dem Gebiet der christlichen Religion ab. Viele unserer nominell christlichen Zeitgenossen wollen sich anscheinend auch da (in mancher zentraler Hinsicht) insofern nicht festlegen, dass sie einer jeglichen klaren und definitiven Entscheidung aus dem Weg gehen und sich statt dessen lieber im Nebel des Relativismus bewegen (wollen). So ist es in unserer heutigen Gesellschaft inzwischen verpönt und politisch nicht korrekt, z.B. den Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens zu erheben. Angeblich würde man dadurch Vertreter anderer Religionen diskriminieren.
Leider stimmen in dieses “Konzert” auch die offiziellen “Kirchen” ein - alle Religionen seien gut und gottgewollt, alle von ihnen jeweils angebotenen Wege führten zu Gott, jeder fände das Heil. So feiert man sich selbst, weil man ja fast bis zum Umfallen die Parolen “Ökumenismus” und “interreligiöser Dialog” wiederholt und auch eine jegliche sachliche Kritik daran als angeblich aufgeklärter und menschenliebender Mensch sofort als “Intoleranz” verschreit.
Zwar kann man auf diese Weise viele bunte Veranstaltungen z.B. nach der Art der sog. interreligiösen Assisi-Treffen durchführen, auf denen man das eigene Bekenntnis zur “Brüderlichkeit” aller Religionen als den höchsten Wert bezeichnet. Zwar wird man dafür dann auch von den liberalsten Medien dickes Lob erhalten und die eigene Einstellung medienwirksam als den Inbegriff des Weltethos zelebrieren können.
Eins wird man dadurch aber nicht erreichen - die beseligende und beglückende Erfahrung der Person und des Heilswirkens Jesu Christi, der durch Sein stellvertretendes Leiden und Sterben die Sünde als den wahren Feind der Menschheit besiegt und dem Ihm nachfolgenden Jünger den wahren Frieden der Seele und das ewige Leben schenkt! Denn Jesus hat nicht etwa die liberale Vorstellung vom geistigen Indifferentismus bzw. der religiösen Gleichmacherei vertreten, sondern ganz klar und unmissverständlich gelehrt, dass Er der einzige wahre Erlöser ist: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch Mich” (Joh 14,6)!
■ Fast wie ein richtiges Wunder kommt es einem heute vor, wenn man gelegentlich sogar auch in den Mainstream-Medien Gedanken antrifft, die die offizielle gesellschaftliche Linie verlassen und zum seriöseren Nachdenken über tiefere Zusammenhänge anregen möchten. So wollen wir Ihnen, verehrte Leser, die wesentlichen Teile eines Artikel nicht vorenthalten, der bereits vor knapp zwei Jahren in “Weltonline” erschienen ist und vordergründig zwar ein eher gesellschaftlich-politisches Thema behandelt, in dem sich aber auch wertvolle Anregungen für unseren religiösen Zusammenhang hier finden lassen.
Man denke halt beim “Multikulti” der betreffenden Ausführungen an das sog. “Multikulti” und den religiösen Indifferentismus in Bezug auf alle Religionen und erkenne in jener “Religion” spezifisch den überlieferten katholischen Glauben mit dem Absolutheitsanspruch Jesu Christi!
“Warum eine starke Religion gegen ‘Multikulti’ hilft
Eine Gesellschaft, die sich ganz auf das Multikulti verlegt, verliert den Sinn für das Einzigartige. Die Religion könnte dagegen wirken.
Die multikulturelle Gesellschaft hat ein ungeschriebenes Gesetz: Sie muss alle Bedeutung im Vielfältigen suchen. ‘Alles so schön bunt hier’ ist das höchste Lob, das sie aussprechen kann. Sie muss neben das Eine immer gleich ein Zweites und Drittes stellen. Tourismusorte werben heute vorzugsweise mit ‘Vielfalt’ statt mit einem bestimmten Vorzug; in Zeiten der Lebensabschnitts-Partnerschaften geht man davon aus, dass immer wieder ein neuer Partner zur Stelle ist. Im Karneval der Kulturen rollen die Identitäten in ihren Festwagen vorbei - ohne wirkliche Bindungskraft, nur für die Zuschauerperspektive.
Das Wörtchen ‘vielfältig’ sagt wenig über die Einzelheiten, die diese Welt ausmachen, und gar nichts über das Einzigartige einer Farbe, eines Geschöpfs oder eines Ortes. Kein Augenblick, kein Ereignis erscheint unwiederbringlich, weder im Guten noch im Bösen, weder im Schönen noch im Hässlichen. So wird die Welt flach. Die Geschichte plätschert gleichgültig dahin. ‘Multikulti’ ist in Wahrheit eine Kultur der schwachen Festlegungen.
Die Konsequenz der Religion. Für eine Gesellschaft, die sich ganz auf das Multikulturelle verlegt hat, muss alles, was zur Religion gehört, irritierend sein. Denn im religiösen Glauben ist eine sehr starke Festlegung enthalten. Seine Pointe, die im Christentum besonders stark ausgeprägt ist, liegt nicht erst im Jenseits, sondern im Diesseits: Wer glaubt, dass sich diese Welt vor Gott erstreckt, dem werden ihre Einzelheiten bedeutsam. Eine Begegnung bekommt einen existenziellen Wert. ...
Gegenwärtig wird oft das Wort von Ernst-Wolfgang Böckenförde zitiert, nach dem Staat und Wirtschaft von moralischen Ressourcen zehren, die sie nicht selber generieren können. Das ist wohl wahr, doch woher kommen dann diese Ressourcen? Wer darauf antwortet ‘aus der Gesellschaft’, macht das Problem nur größer. Warum sollte die Gesellschaft die Quelle sein? Die Annahme, dass Moral durch das Miteinander der Menschen hervorgebracht wird, gleicht dem Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.”
Ein moralisches System kann nur dann sinnvoll funktionieren, wenn es zu jeder Zeit und für alle Menschen gleichermaßen gilt. Im gegenwärtig praktizierten westlich-liberalen System läuft es ja in vielerlei Hinsicht letzten Endes darauf hinaus, dass praktisch jeder selbst seine eigenen “Werte” generiert, d.h. bestimmt, was für ihn bzw. seiner Meinung nach gut und böse, richtig und falsch sei. Ein allgemein gültiges und alle Menschen bindendes absolutes sittliches Gesetz ist nicht nur nicht vorhanden - man wehrt sich vehement dagegen, ein solches aufstellen und gelten zu lassen!
Es gibt heute praktisch nur “Menschenrechte”, die allerdings sehr wohl durch Mehrheitsbeschluss und somit letztendlich doch willkürlich inhaltlichen Veränderungen unterzogen werden können. Man denke da z.B. nur an die ungeborenen Kinder, denen man das unbedingte Recht auf Leben in vielen Staaten dieser Erde einfach abspricht! Hauptsache, dies geschehe sozusagen “im Namen des Volkes”.
Ein allgemein gültiges und alle Menschen darauf verpflichtendes moralisches Gesetz kann nur von einem absoluten Wert abgeleitet werden, welcher unabhängig von allen Meinungen und Entscheidungen menschlicher Gremien gilt - von der Heiligkeit und der Liebe Gottes, wie Er sie offenbart und sie somit im Christentum erkennbar geworden sind! Und man sieht: wenn man Gott als die oberste moralische Instanz leugnet, schafft man nach und nach, Schritt für Schritt auch die “moralischen Ressourcen” ab, von denen wir bisher wenigstens noch teilweise zehren. Was passiert aber, wenn der Einfluss des christlich-katholischen Glaubensgeistes auf unsere Gesellschaft noch weiter rapide abnimmt?
“Sozialdienste ersetzen das Gewissen. Gerade in der multikulturellen Gesellschaft zeigt sich das. Das ‘Multi’ reicht nur zur gegenseitigen Selbstbestätigung, es birgt kein Sollen und Wollen. In diesem Modus ist die Gesellschaft nur eine Ansammlung ohne inneren Schwung. Ein Phänomen, das in multikulturellen Großstädten wie Berlin zu beobachten ist, zeigt das deutlich: die rapide und scheinbar unaufhaltsame Zunahme aller möglichen Betreuungs- und Beratungsdienste, die die Menschen bei allen Problemen an die Hand nehmen müssen. Lernschwäche, Ehekrise, Schulden, Körperhygiene, Kochen, Nachbarschaftsstreit - das ganze Leben bedarf des Anstoßes durch professionelle Begleiter und Förderer. Und nie lösen solche Dienste ein Problem definitiv, neue Nachfragen sind schon vorprogrammiert. Gerade die multikulturelle Gesellschaft muss also von moralischen Ressourcen zehren, die sie nicht selber hervorbringen kann.
Die Sozialdienste sind an die Stelle einer Instanz getreten, die vorher dafür sorgte, dass man selber nachdachte und sich anstrengte: das Gewissen. Das Gewissen ist eine anspruchsvolle, durchaus moderne Einrichtung, die sich nicht einfach ‘aus dem Leben’ ergibt. Das Gewissen bedarf eines äußeren Halts und hier wird die Kraft des religiösen Glaubens zu einer Ressource im Böckenfördeschen Sinn.
Wenn wir glauben, dass unser Leben in einer größeren Geschichte zählt und dass es von einem höheren Gericht beurteilt wird, wird das unsere moralische Kraft, für ein Ziel auch Opfer zu bringen, stärken. Wir müssen dann nicht bei jeder einzelnen Angelegenheit betreut und motiviert werden. Eine Religion kann großzügiger und nachhaltiger wirken als der ganze kleinliche Forder- und Förderüberbau unserer Zeit. ...
Multikulti fehlen große Motive. Der Bezug zu Gott kann die Verantwortung für das eigene Leben und Handeln erhöhen. Berufsethos, Wirtschaftsgeist, Gesetzestreue und künstlerische Exzellenz können so einen starken Anstoß erhalten, sowohl im Leben des Einzelnen als auch im Leben ganzer Völker. Es steht also einiges auf dem Spiel, wenn eine Gesellschaft im Namen des Multikulturalismus die Religion aus ihrer Mitte verbannen will und allenfalls im stillen Kämmerlein dulden möchte. Sie würde damit eine moralische Ressource schwächen, die sie dringend braucht. Unsere angeblich so vielfältige und informierte Gesellschaft ist arm an großen Motiven. ...
Glaube ist kein Mittel zum Zweck. Glaube entsteht auch nicht dadurch, dass man ihn für etwas braucht. Er ist kein Mittel zum Zweck. ... Je mehr die Gegenwart den multikulturellen Wechsel steigert, desto mehr wächst der Religion die Aufgabe zu, den Sinn der Menschen für das Einzigartige zu stärken und sie dazu zu veranlassen, den jeweils besonderen Platz, der ihnen in der Welt gegeben ist, anzunehmen.
Religion kann eine herausfordernde Heimat und viele kleine und große Verantwortungen stiften, für Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete. Wo die multikulturelle Gesellschaft nur Zuschauerplätze zu bieten hat, reicht der Glaube mitten in das Geschehen.” (Aus: www.welt.de vom 20.09.2011)
Es macht also schon Sinn, sich auch daran zu erinnern, welche kulturellen Zivilisationsleistungen das Christentum erbracht bzw. welche sozialen Verdienste die katholische Kirche im Lauf ihrer Geschichte angesammelt hat. Europa bzw. die ganze westliche Welt wären heute in vielerlei Hinsicht nicht so weit wie sie sind, wenn sie im Lauf ihrer Geschichte nicht vom letztendlich belebenden und befreienden Geist des authentischen christlichen Glaubens beeinflusst worden wären! Denn wenn ein Mensch und eine Gesellschaft zutiefst davon überzeugt sind, dass sie weder für sich allein noch ausschließlich für diese Welt hier unten leben, schärft das den Blick für höhere Ideale bzw. öffnet eine viel inhaltsreichere Perspektive im Leben, in welcher man sich auf der einen Seite von Gott geliebt weiß und auf der anderen Seite auch erkennt, dass man dazu berufen wird, sein Leben auch im Wissen um seine große Verantwortung vor Ihm und der menschlichen Gesellschaft zu führen.

P. Eugen Rissling

 

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